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„Ich wäre ein angepasster DDR-Bürger gewesen, wenn der Staat mich denn gelassen hätte…“

„Ich wäre ein angepasster DDR-Bürger gewesen, wenn der Staat mich denn gelassen hätte…“

Mario Röllig spricht vor Schülern der 10. Klasse im CEG

Mario Röllig spricht vor Schülern der 10. Jahrgangsstufe

So berichtet Mario Röllig von seinem Leben in der DDR. Schon im Kindergarten beginnt die systemkonforme Erziehung, in der Grundschule wird es nicht besser: Um 8 Uhr wird zum morgendlichen Fahnenappell gebeten. Alle fein gekleidet, in blauer Uniform. Ist man anders, fällt man auf. Wie auch der heute 49jährige Mario Röllig. Stolz mit einem knallgelben, aus dem Westen stammenden Franz Beckenbauer-Fan-Trikot gekleidet, hebt er sich von der restlichen Gleichheit schon am ersten Schultag ab, weswegen er vor der Klasse gedemütigt und zum Gespräch mit dem Direktor gebeten wird.

Wer kein junger Pionier ist, darf nicht mit auf Klassenfahrt, gehört ganz einfach nicht dazu. Und vier, höchstens sechs von 30 Schülern einer Klasse bekommen die Zulassung zur Erweiterten Oberschule, um das Abitur zu machen. Intelligenz schadet hier zwar nicht, entscheidend ist aber das Elternhaus oder die eigene politische Einstellung. Mario Röllig geht also nach der 10. Klasse von der Schule ab, er wird Kellner im Restaurant des Flughafens Schönefeld in Ostberlin. Ein Job, bei dem man zu DDR-Zeiten viel mehr Geld verdient als jeder Akademiker und der in der Planwirtschaft der DDR wenig mit Service zu tun hat – siehe das DDR-Sprichwort, das die Überschrift dieses Artikels ist…

Das bis dato angenehme Leben ändert sich, nachdem Röllig im Ungarn-Urlaub seinen ersten Freund – Wirtschaftsstaatsekretär der damaligen Westberliner Landesregierung – kennen lernt und regelmäßige Treffen folgen: Die Stasi bittet ihn, regelmäßige Berichte über seinen Freund zu schreiben. Als er sich weigert, als Spitzel zu arbeiten, wollen ihn die Beamten mit einem Trabant oder einer neuen Wohnung „bestechen“. Röllig bleibt hartnäckig und verliert daraufhin seinen gut bezahlten Beruf, Überwachung und Gängelung gipfeln in einem misslungenen Fluchtversuch über Ungarn, es folgen Stasihaft und 1988 sein Freikauf durch die BRD als politischer Gefangener für immerhin 90000 DM.

Mario Röllig ist auf den ersten Blick topfit, hat seit seinem „Umzug“ in den Westen weltweit als Barkeeper gearbeitet, aber er hat ein Foltertrauma davongetragen und wird nie wieder der gleiche Mensch wie vor der Haft sein, so sagt er. Darüber zu reden hilft ihm, besser mit den Geschehnissen zu leben und sie zu verarbeiten – und auch dabei ist er mittlerweile durchaus erfolgreich, z. B. als Gastdozent an der University of Charlotte in South Carolina 2015/16 oder durch die Auszeichnung seiner filmischen Biographie auf der Biennale im März 2016.

Für die 10. Jahrgangstufe eine einzigartige Chance der Begegnung mit DDR-Geschichte, aber auch dem persönlichen Umgehen damit nach Ende dieses Staates, das die Schülerinnen und Schüler mit einer Fülle von Fragen intensiv genutzt haben…

U. Keding

Langeweile ist sehr positiv!?

Langeweile ist sehr positiv!?

Gruppenbild CEG Schüler im Landtag 2017Dienstag, 20. Juni 2017 – eine 24köpfige Gruppe aus 10. und 11. Klässlern des CEG hat es geschafft, in den bayerischen Landtag eingeladen zu werden – was bei den streng limitierten Besucherzahlen gar nicht so einfach ist – und die „Politik zum Anfassen“ begeisterte alle…

Neben einer Führung durchs Gebäude war ein Höhepunkt der Besuch des Ausschusses für den öffentlichen Dienst, wo – trotz des auf den ersten Blick langweiligen Namens – unsere Schüler miterleben konnten, wie Vorschläge gegen die Abwanderung bayerischer Grundschullehrer aus Unterfranken nach Hessen oder Baden-Württemberg diskutiert wurden, oder auch mit Erstaunen feststellten, wie weit das Petitionsrecht eines Bürgers geht – es wurde z. B. über den Antrage eines Gymnasiallehrers entschieden, der einen zu schlechten Abschluss für eine Planstelle hatte, sich aber mit der bizarren Petition „Der Freistaat möge mir eine Planstelle schaffen“ an den Landtag gewandt hatte.

CEG Schüler sitzen im Plenarsaal im Landtag 2017Gleichzeitig erlebten die Schüler hautnah, was die glasklaren Mehrheitsverhältnisse in Bayern in der Praxis bedeuten: Wortmeldungen von Abgeordneten der SPD, der Freien Wähler oder der Grünen bedeuten, dass der Großteil der Abgeordneten den Raum verlässt und schon im Gehen das Smartphone zückt, oder nach 10 Minuten mit frischem Kaffee und neu gekaufter Süddeutscher wieder kommt – man muss der Opposition nicht zuhören, weil die Mehrheiten vorher feststehen…

Genau dies war dann auch Thema bei der persönlichen Diskussion mit Landtagsabgeordneten, wo uns je ein Vertreter der CSU-, der FW- und der grünen Fraktion – offenbar war die SPD zu sehr mit Anderem beschäftigt, um einen Abgeordneten für uns frei zu machen – Rede und Antwort standen: in einer lebhaften Diskussion spürten unsere Schüler der Frustration eines Oppositionsabgeordneten nach, loteten mögliche schwarz-grüne Koalitionsoptionen in Bayern aus und wiesen den lokalen CSU-Abgeordneten noch ganz nebenbei auf die Probleme hin, eine passende Halle für mögliche Abiturfeiern zu finden.

Schüler mit Führung im bayerischen Landtag 2017Mithin ein rundum erkenntnisreicher Tag … dass die Landtagskantine mit spontanen Wünschen wie veganem oder lactosefreiem Essen fast überfordert war, war da definitiv Nebensache; und dass uns unser pädagogischer Begleiter vom Landtag versuchte, einzureden, der demokratische Prozess mit vielem Abwägen und Kompromisse finden sei zwar langwierig und langweilig, aber genau das sei eben auch die Garantie, dass der bestmögliche Kompromiss gefunden werde, können wir auch nicht bestätigen – wir fanden es super!

U. Keding, verfasst von Schülern der 10d

Internationale Politik live erleben…

Internationale Politik live erleben…

Politik und Internationale Sicherheit kennen lernen und verstehen. Darum geht es bei dem Pol&is – Planspiel, das von der Bundeswehr organisiert wird, um jungen Menschen Politik nahe zu bringen und zu erklären.

Nachdem die organisierenden Jugendoffiziere mittlerweile dünn gesät sind, besonderen Dank an Marius Erbrich, der uns dieses Planspiel ermöglicht hat, obwohl er als einziger Jugendoffizier in Ober- und Mittelfranken VIER Stellen gleichzeitig abdecken muss. Um den Mangel zumindest gerecht zu verteilen, haben sich das Christian-Ernst-Gymnasium Erlangen, das Emil-von-Behring-Gymnasium Spardorf und das Christoph-Jacob-Treu-Gymnasium Lauf zusammengeschlossen.

Zwei Schüler beim Polis Spiel 2017 verkörpern die EU

Die EU

An dem diesjährigen Spiel vom 29.05.–31.05.17 haben 48 Jugendliche dieser drei Schulen teilgenommen, die zum Einen eine Art Uno verkörperten, indem je drei Schüler einen Staat leiteten, zum Anderen wurden aber auch die Rollen weiterer Internationaler Akteure, wie der NGOs oder der Presse, vergeben.

Nach der Rollenverteilung starteten die Staaten mit „realen“ Ausgangsbedingungen, also Terrorismus, Staatverschuldung, Klimawandel und einer durchaus ungleichen Verteilung von Gütern wie Strom, Öl, Nahrung und Geld ins erste Spiel- bzw. Polis-Jahr. Schnell wurde den Staaten/Schülern klar, dass miteinander zu kooperieren und Handel zu betreiben der logische Weg zu Frieden und Wohlstand wäre, gleichzeitig kämpften sie aber wie im richtigen Leben mit nationalen Egoismen. Als Abschluss des ersten Jahres wurden in Form einer großen Versammlung, welche die UN-Generalversammlung darstellen sollte, die Resultate der Verhandlungsrunden vorgestellt. Nach jedem Spieljahr wurden durch entsprechende Nachrichtenmeldungen die Folgen des Tuns oder der Untätigkeit der Welt für das Folgejahr zusammen gefasst und bildeten so die Basis des kommenden Polisjahres.

Sechs Schülerinnen und Schüler sitzen beim Polis Spiel 2017 protestierend zusammen

Wie im richtigen Leben – amnesty international protestiert erfolglos gegen russischen Atombombeneinsatz gegen eigene protestierende Bevölkerung

Man hat gemerkt, dass das Spiel am zweiten Tag viel reibungsfreier lief und sich alle allmählich in ihrer Rolle eingefunden hatten. So wurde das am Anfang sehr komplexe Spiel nach und nach immer einfacher und verständlicher, sodass die Teilnehmer langsam anfingen, Politik zu machen und zu verstehen – und genau das ist wohl auch die Haupterkenntnis dieser zweieinhalb Tage: die Funktionsweise der Uno „live“ nachzuvollziehen ist sicher hilfreich, aber die Erkenntnis, dass durch diverse Sachzwänge der Handlungsspielraum vieler Staaten doch sehr eingeschränkt ist, und somit vieles, was auf den ersten Blick wünschenswert und naheliegend ist, nur teilweise oder langsam verwirklicht werden kann – und insofern viele Stammtischvorurteile über Politiker, „die nichts machen“ schlicht falsch sind.

U. Keding, zusammengestellt aus Schülerinterviews

Extrem komplex und verwirrend…

Extrem komplex und verwirrend…

Vortrag und Diskussion mit dem Jugendoffizier Marius Erbrich zum Syrienkonflikt

Die Folgen des missglückten amerikanischen Eingreifens im Irak wie die unerfüllten Hoffnungen des arabischen Frühlings in Syrien waren der Ausgangspunkt eines facettenreichen Vortrags über das Erscheinen des sogenannten „Islamischen Staats“ auf der Weltbühne, aber auch die Verstrickung der Weltmächte wie USA und Russland wie der Regionalmächte (Saudi-Arabien, Türkei, Iran) in diesem Konflikt

So führen Ressourcenverknappungen oder fehlende Menschenrechte zu Spannungen, die wiederum zu sozialen und damit ethnischen, d. h. oft religiös anmutenden bewaffneten Konflikten eskalieren: Flüchtlingsströme können im Aufnahmegebiet neue Probleme auslösen, da dort ebenfalls knappe lebenswichtige Güter nun mit einer ebenso kurzfristig wie drastisch gestiegenen Zahl an Menschen geteilt werden müssen. Neue Verknappungen entstehen bzw. bestehende Knappheiten verschärfen sich und das Konfliktpotential zwischen der einheimischen Bevölkerung und den zugewanderten Ethnien oder Religionsgruppen erhöht sich.

Somit schwächen oder zerstören Konflikte regelmäßig die staatliche Infrastruktur und das staatliche Gewaltmonopol. Unzureichender Wohlstand und ein fehlender staatlicher Sicherheitsapparat begünstigen zudem die Entstehung und Ausbreitung organisierter Kriminalität. Ins Blickfeld rückte der Referent hier den Handel mit Drogen und Waffen sowie den Handel mit antiken Kulturgütern, Menschenhandel und Cyberkriminalität.

Gerade Syrien krankt aber an der Einmischung sowohl der Weltmächte wie der Nachbarstaaten, z. B. der Türkei, die jeweils ihre nationalen Egoismen verfolgen und durchaus auch widerstreitende Gruppierungen unterstützen: in diesem Kontext ganz logisch, dass deutsche G36 Gewehre, die eigentlich nur an irakische Kurden geliefert werden, natürlich auch an deren syrische „Brüder“ weitergegeben werden, obwohl die syrische YPG aus deutscher Sicht eine Terrorvereinigung ist, bzw. die Waffen einfach weiterverkauft werden und durchaus auch beim sogenannten „Islamischen Staat“ landen… insofern schon fast friedensstiftend, dass die G36 nur in kaltem Zustand wirklich geradeaus schießen…

Geschätzt sind zwischen 400 und 1000 aus Deutschland stammende Kämpfer auf Seiten des IS im syrischen und irakischen Kriegsgebiet im Einsatz. Man geht davon aus, dass circa 180 von ihnen bereits zurückgekehrt sind. Als am schwersten zu beherrschende Herausforderung steht im Fokus die seit ca. 3 Jahren erkennbare islamistische Cyberkriminalität, auf die die Staaten des Westens noch keine Antwort gefunden haben.

All das hat bei den Schülerinnen und Schülern der Q12 am 20. März zu derart lebhaft Diskussionen geführt, dass einige es nicht mehr rechtzeitig in den nachfolgenden Unterricht geschafft haben, aber: der Titel des Artikels ist der Kommentar eines 12klässlers zum Syrienkonflikt, nicht zur Informationsveranstaltung.

U. Keding, kompiliert aus Schülerbeiträgen

Internationale Politik zum Anfassen – das Planspiel POL&IS

Internationale Politik zum Anfassen – das Planspiel POL&IS

polis 1 Der Syrien-Konflikt, die Euro-Krise, das Abkommen mit dem Iran – die Ebene der internationalen Politik ist auf den ersten Blick komplex und schwer überschaubar. Umso wichtiger ist es daher, für Schüler einen verständlichen und unmittelbaren Zugang zu Fragen der Weltpolitik zu schaffen. Diese Möglichkeit bot sich 49 Zehntklässlern des CEG und des Gymnasiums Herzogenaurach im Rahmen des Planspiels „POL&IS“ in Bad Windsheim Ende Juli. In einer dreitägigen Simulation, die von den Jugendoffizieren der Bundeswehr durchgeführt wird, schlüpften die Teilnehmer dabei in die Rollen von zentralen internationalen Akteuren: Die wichtigsten Weltregionen werden verkörpert, daneben überprüfen einzelne Schüler als Vertreter der Weltbank die Entwicklungspolitik der Regionen, prangern als Vertreter von NGOs z. B. die Menschenrechtssituation in Staaten an oder klären als Weltpresse die Öffentlichkeit über schwelende Konflikte auf.

polis 2Die Komplexität der Weltpolitik wird zwar heruntergebrochen, aber doch erfahrbar gemacht: In allen Simulationsphasen sind die Staaten in Interaktion, verhandeln an großen Weltkarten sitzend, entwerfen Regierungsprogramme oder müssen genügend Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung sichern: „Wenn man selber versucht, ein Problem zu lösen, wird einem erst bewusst, welchen Sachzwängen Politik unterworfen ist und wie alles mit Allem zusammen hängt – diese Realitätsnähe hat mir besonders gut gefallen“, hält Teilnehmerin Sophia Schenkel stellvertretend für viele fest. So eine realistische Erfahrung ist auch, dass es herausfordernd ist, die eigene Weltregion als Redner zu präsentieren (und eigenes Versagen zu beschönigen), und umgekehrt anstrengt, in Konferenzen einem Dutzend Reden zuzuhören.

polis 3Zentraler Bestandteil der Simulation ist dabei gerade die Auseinandersetzung mit Krisen und Konflikten: Immer wieder entstehen diese aufgrund von begrenzten Ressourcen und/oder dem Missmanagement einzelner Regionen: Hungersnöte, Energieengpässe, Flüchtlingsströme, Piraterie, zerfallende Staatswesen, steigende CO2-Emissionen – nur eine Auswahl von Krisen, auf die die Teilnehmer reagieren mussten. Dabei haben die Schüler auch rasch die Erfahrung gemacht, dass Krisen in einer Weltregion meist nie ohne Auswirkung auf eine andere Weltregion bleiben. Genau das gehört aber auch zu den Zielen von POL&IS. Das Spiel kennt keine Gewinner oder Verlierer, da es in der Regel die Kooperation vieler Weltregionen braucht, um Konflikte und Krisen zu bewältigen. Diese eigenständige, spielerische Einführung in die Weltpolitik bewirkt schließlich genau das, was man im normalen Politikunterricht eher schwer erreichen kann: Die Schüler wollen ganz von alleine immer mehr über internationale politische Prozesse wissen und alle Möglichkeiten des Spiels ausschöpfen.

Also drei anstrengende, aber sehr ertragreiche und gelungene Tage!

Ulrich Keding (auf Basis von SchülerInnenbeiträgen)

„Ich wollte doch bloß frei sein“

„Ich wollte doch bloß frei sein“

„Ich wollte doch bloß frei sein“
Mario Röllig, ein DDR-Zeitzeuge erzählt von weit mehr als vom Stasi-Knast

bild 1 röllig 30.6.Ein leichtes Raunen setzt ein, als die CEG-Schülerinnen und Schüler auf einen Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR treffen. Vor ihnen steht ein jugendlicher, baumlanger, kurzhaariger Mann, ganz in schwarz gekleidet, der einen unverkrampften Eindruck macht. Irgendwie hatten sie ihn sich anders vorgestellt, wie genau wusste aber keiner zu erzählen.

„Eigentlich wäre ich zufrieden gewesen mit der DDR“, sagt Mario Röllig über seine Jugend, „ich hatte einen privilegierten Job im Flughafenrestaurant und Geld – vermutlich wäre ich als angepasster DDR Bürger durchs Leben gegangen, wenn das alles nicht passiert wäre.“

Aber es ist so viel passiert, dass Röllig, Sohn zweier SED Mitglieder, Thälmannpionier und FDJler, sich heute als „demokratischer Antikommunist“ bezeichnet. Das alles hat die Stasi aus ihm gemacht.

Röllig redet munter drauflos, er ist zwar das zweite Mal am CEG, war aber schon seit fast zehn Jahren immer wieder an anderen Schulen im Großraum Nürberg/Erlangen als Gesprächspartner an Schulen, nie käme man auf die Idee, dass er heute noch Angst hat, vor grellem Licht oder dem Geräusch von Zweitaktmotoren – eine „Erinnerung“ an seine Inhaftierung in Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Für ihn ist die Zeitzeugentätigkeit am CEG gleichzeitig eine Art Therapie.

Mit 17 verliebt er sich am Plattensee in einen älteren westdeutschen Herrn- den damaligen Wirtschaftsstaatssekretär der Regierung Kohl. Da die Stasi ihn immer mehr unter Druck gesetzt hatte, seinen Geliebten auszuspionieren und beide die Beziehung über die Berliner Mauer hinweg als unbefriedigend empfinden, wagt Röllig1987 einen Fluchtversuch, wird aber an der ungarisch-jugoslawischen Grenze gefasst.
Die ungarischen Genossen übergeben den Republikflüchtling an die Ostberliner Staatssicherheit. In einem Gefängnistransporter (Barkas 1000- für die Autokenner), fahren sie ihn vom Flughafen Schönefeld nach Hohenschönhausen. Sie drohen ihm: „Wir sind die Staatssicherheit. Wir müssen nicht nett zu Ihnen sein.“ Und sie machen ihm Angst. Beobachten ihn durch den Spion beim Toilettengang. Verhören ihn mal über Stunden, dann wieder tagelang gar nicht. Sie malen ihm in den schillernsten Farben aus, wie es einem Schwulen im Knast ergeht. Drohen, seine Eltern zu verhaften oder seine Nichte zwangsadoptieren zu lassen.

bild 2 röllig 30.6.Drei Monate bleibt er inhaftiert, im September 1987 wird er entlassen – in die DDR. Erst ein halbes Jahr später wird er für 40 000 DM freigekauft.
Es folgt eine Zeit des Abenteuers und großen Geldes: Reiseleiter in Russland (die erste Fremdsprache des DDR Schulsystems machte sich bezahlt), Barmann in Los Angeles.

Seit 1999 lebte Mario Röllig wieder in Westberlin, er arbeitete als Zigarrenverkäufer im KaDeWe. Ein Kunde verlangt Zigarren- es ist sein Verhöroffizier aus Hohenschönhausen, der sagt: „Was wollen Sie von mir? Reue ist was für kleine Kinder. Wofür soll ich mich bei Ihnen entschuldigen? Sie sind doch ein Verbrecher.“ Mario Röllig bricht zusammen.Die Erinnerungen an die Inhaftierung kommen wieder hoch. Er schließt sich zu Hause ein, unternimmt einen Selbstmordversuch. Er wandert für Monate in die Psychiatrie. Die alte Angst hat ihn wieder ganz fest im Griff.
Seine Therapie heute: die Sorge um seinen Hund – und über das Erlebte sprechen. Die konzentrierte, aufmerksame Ruhe und die teilweise langen Gespräche mit Schülern nach dem offiziellen Teil des Zeitzeugengesprächs zeigen, dass Mario Röllig unsere Schüler gefesselt hat und ihnen einen plastischen Eindruck vom Leben in einer Diktatur vermittelt hat.

PS: Im kommenden Jahr wird Mario Röllig unserer 10. Jahrgangsstufe leider nicht als Zeitzeuge zur Verfügung stehen, er wird als Dozent für DDR-Geschichte an der Universität Charlotte/South Carolina tätig sein.

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